\"Psychiatrie ist die Lehre von den psychischen Krankheiten und deren Behandlung. Ihren Ausgangspunkt und ihre Grundlage bildet die wissenschaftliche Erkenntnis des Wesens der Geistesstörungen. In der Lösung dieser Aufgabe waren schon die Ärzte des Altertums so weit vorgeschritten, dass sie das Irresein mit gewissen körperlichen Störungen in Verbindung brachten, namentlich mit dem Fieber und mit Veränderungen der Körpersäfte. Leider gingen diese bereits zu Lehrgebäuden entwickelten Anschauungen mit dem Zusammenbruch der alten Kultur fast völlig wieder verloren. Dafür drangen im Mittelalter einerseits scholastisch -philosophische, andererseits religiös -abergläubische Vorstellungen in die Auffassung des Irreseins ein und verdrängten rasch die vorhandenen Ansätze eines naturwissenschaftlichen Verständnisses. Die Geistesstörung war nicht mehr Krankheit, sondern Werk des Teufels, Strafe des Himmels, bisweilen auch göttliche Verzückung. Nicht der Arzt beschäftigte sich mehr mit der Erforschung und Behandlung des Seelengestörten, sondern der Priester suchte ihm die bösen Geister zu vertreiben; das Volk betete ihn als Heiligen an, und die Hexenrichter Hessen ihn in der Folterkammer wie auf dem Scheiterhaufen für seine vermeintlichen, wahnhaften Sünden büßen.
Mit der Wiedererneuerung der Wissenschaften und insbesondere mit dem Aufschwunge der Medizin begann allmählich auch das Interesse der Ärzte sich wieder den Geisteskranken zuzuwenden. Allein es dauerte Jahrhunderte, bevor die klare Erkenntnis sich überall Geltung zu erringen vermochte, dass die Seelenstörungen nur vom ärztlichen Standpunkte aus richtig erforscht und erkannt werden können.\" [...]
Vorliegender erster Band dieser zweiteiligen Reihe befasst sich mit den Ursachen des Irreseins, den Erscheinungen, Verlauf, Ausgänge und Dauer des Irreseins, sowie der Behandlung. Auch heute gehört dieses Werk noch zu den lesenswerten Titeln über die Psychiatrie.
Der Autor dieses Werkes, Emil Kraepelin (1856 bis 1926) war e